Das Haus des Volkes in Probstzella

Bauhaus des Volkes / Das „Haus des Volkes“ des Franz Itting (1875-1967)

Auf meiner Urlaubsreise in den Thüringer Wald, stand ein Ausflugsziel in meiner Liste an erster Stelle.

Es war das Bauhaushotel das „Haus des Volkes“, was ich unbedingt fotografieren wollte, von außen, von innen und mit der Drohne auch von oben.

Da es mitten im Herbst war, brauchte ich nur noch auf den passenden Moment zu warten an dem sich laut Wettervorhersage die Sonne blicken lassen solle.
Als Liebhaber der Bauhauszeit, ist mir beim Durchblättern einiger Fotobände immer mal wieder das Haus des Volkes buchstäblich über den Weg gelaufen. Ich konnte es nie so richtig einordnen, da es von seiner Form ganz anders aussah, als alle anderen typischen Bauhausprojekte, die ich kannte und schön fand. Ich habe auf den ersten Blick keine Parallelen zum Bauhaus gesehen, kein Flachdach sondern ein Walmdach, stehende Fenster statt liegende Fenster und dann noch ein Türmchen auf dem Dach. Wo war die reduzierte Funktionalität?  Keine Spur von Würfel stattdessen rätselhafte senkrechte Betonstreben vor der Fassade, dreieckige und runde glattverputzte Erker und ein dekorloser vorspringender Fries als Abschluss nach oben. Die Hülle des Gebäudes erschloss sich mir nie und konnte nie sagen, ob ich es schön finden sollte, aber genau das machte mich neugierig, ich wollte das Bauhaus daran entdecken. Ich fand es auch spannend, denn ich hatte zuvor nie von einem Bauhaushotel gehört.
Vor meiner Fahrt in das Thüringische Probstzella, ehemaliges Grenzgebiet der DDR , habe ich mich ein bisschen belesen und war gefesselt von der Geschichte die das Hotel auf dem Buckel hatte und konnte nicht aufhören zu lesen.

Meine Verwunderungen zur untypischen Bauhaushülle klärte sich auf, denn des Rätsels Lösung lag in der Planungs- und Auftragshistorie des Gebäudes. Alfred Arndt wurde vom Bauherren erst mit der Ausführung seines sozialen Großprojektes beauftragt, als Planungen, Fundamente und Genehmigungen bereits für ein historisierendes Gebäude mit den damals üblichen Erkern, Türmchen etc abgeschlossen waren.
„Das müsste man ja alles abkloppen!“, soll der Bauhaus-Schüler Alfred Arndt (1898-1976) gesagt haben, als er zu Beginn der Bauphase zufällig die ursprünglichen Entwürfe für das „Haus des Volkes“ sah. Alfred Arndt hatte mit zwei von Ittings Kindern am Bauhaus studiert.
Arndts Forderung traf auf offene Ohren beim modern denkenden Bauherrn und Unternehmer Franz Itting (1875-1967). Er zahlte seinen ersten Architekten aus und engagierte den 28-jährigen Arndt, der für das Bauprojekt sogar sein Studium unterbrach. Arndt hatte sich mit der Wandgestaltung im „Haus am Horn“ in Weimar und „Haus Auerbach“ in Jena bereits einen Namen gemacht. Als Architekt war er bis dahin unbekannt.
So überarbeitete er den bereits bestehenden Rohbau mit kubischen Formen und funktionalen Lösungen im Sinne des Neuen Bauens. Über die Bauhaus-Werkstätten erfolgte der komplette Innenausbau des Mehrgeschossers, die Farbentwürfe kamen von Arndt. Nach Fertigstellung des Haupthauses 1927 realisierte Alfred Arndt weitere bemerkenswerte, moderne An- und Ergänzungsbauten, so das Café und der Gartenkiosk sowie die Konzertmuschel im ebenfalls von Arndt angelegten Park. Sie zeigen die Arbeit mit neuen Konstruktionsmöglichkeiten und Materialien der Zeit.

Ein paar Worte zu  dem Bauherren, denn er ist der tragische Held,  dem in seinem unglücklichen Jahrhundert immer wieder Unrecht geschehen ist.
1904 eröffnet er in Saalfeld ein erstes Montagebüro für Elektrotechnik. Schon vor dem Ersten Weltkrieg sorgt er mit seinem 1909 erbauten Elektrizitätswerk in Probstzella für die Elektrifizierung eines großen Gebietes um den Ort. Der Industrielle und sozial engagierte Itting plante für die Arbeiter seines Elektrizitätswerks ein Kultur- und Erholungszentrum im Sinne der Volkshausidee mit Kino, Tanz- und Theatersaal, Bibliothek, Kegelbahn, Sauna, Parkanlage mit Kiosk, Bühne und Turnhalle. Mit dem „Haus des Volkes“ war mitten in der Provinz ein Ort sozialer Utopie entstanden, es wird Salat und Gemüse fürs Restaurant gezogen, die Gewächshäuser werden mit Abwärme aus dem E-Werk beheizt, mit den Küchenabfällen füttert man die Hühner. Selbst die Inflation übersteht der Betrieb ohne Entlassungen, weil die Mitarbeiter zusammenhalten und auf Teile des Gehalts verzichten.
Der Bauherr war Sozialdemokrat mit Leib und Seele. Sein Engagement brachte ihm deshalb schnell den Beinamen der „Rote Itting“ ein. In der NS-Zeit wurde der bekennende Sozialdemokrat dafür als Marxist und Kapitalist politisch angefeindet, kommt schon ’33 in „Schutzhaft“, 1937 ins KZ Bad Sulza, wofür er anschließend sogar Verpflegungsgeld zahlen musste, und zuletzt wurde er ins KZ nach Buchenwald gesteckt. Das Haus des Volkes musste umbenannt werden. (Erst 2013 erhielt das Hotel seinen Schriftzug „Haus des Volkes“ zurück) Trotzdem verliert Itting nicht seinen Glauben an die Menschen, er geht immer davon aus, dass die Anfeindungen nur von Einzelnen kommen. Aber nach dem Krieg geht es weiter mit der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED, die SPDler werden diskriminiert. Itting wird von den SED-Stalinisten der ersten Stunde – darunter ein Staatsanwalt, der vorher Nazi gewesen war – verfolgt und mit seinem Sohn über ein Jahr ins Gefängnis gesteckt. Er wird enteignet, natürlich „freiwillig“. Er hätte gar nichts dagegen gehabt, den Betrieb in Volkseigentum zu überführen, aber er wollte nicht mit Kriegsverbrechern gleichgestellt werden, denn so lautete die Anschuldigung, er habe am Krieg profitiert und sei Nazi gewesen, während er in Wirklichkeit Juden unterstützt hat. Er darf nicht mehr in den Ort zurück.
Itting ließ sein Lebenswerk zurück ein Elektrizitätswerk, das mehr als hundert Gemeinden mit Strom versorgte und musste  in den Westen fliehen und baut jenseits der Grenze in Ludwigsstadt in Bayern, unweit von Probstzella, mit über 70 Jahren noch einmal eine Fabrik auf.
Ein Viertel Jahr vor seiner Flucht in den Westen schrieb Franz Itting seiner Tochter Sonja: „Also kämpfen wir, und wenn wir wider Erwarten nichts erreichen, dann müssen wir eben warten, bis die Einheit Deutschlands kommt und Wahrheit, Gesetz und Gerechtigkeit wieder einzieht.“

Nach zehn Jahren Bearbeitungszeit erhalten die Erben Franz Ittings, der 1993 per Gerichtsbeschluss rehabilitiert wurde, im Sommer 2000 einen knappen Bescheid des Thüringer Landesamtes für Vermögensfragen: Die Enteignung des E-Werkes samt Werkswohnungen könne aufgrund des sowjetischen Besatzungsrechts nicht rückgängig gemacht werden.
Es machte mich richtig wütend zu lesen, dass so ein progressiver Ingenieur und Unternehmer, der überzeugt davon war, etwas zum Gemeinwohl beizutragen, als Opfer des Nationalsozialismus und später von den Stalinisten in der DDR verfolgt und aus dem Land gejagt wurde.

Bevor ich hinein ging, spazierte ich erst durch den von Arndt angelegten Park und lief einmal um das Hotel und betrachtete es intensiv. Als ich hineinlief, musste ich durch das Treppenhaus in die 4. Etage, um in die Rezeption zu gelangen, denn ich suchte eine Person, die ich fragen konnte, ob es mir überhaupt erlaubt ist, Fotos im Bauhaushotel machen zu dürfen. Schon beim Gang durch die Treppenhäuser, erkannte ich die typische Handschrift des Bauhauses, man kann klare Strukturen und moderne Farbkompositionen sehen.
Oben angekommen, stellte ich mich einem Mitarbeiter vor und klärte ihn über mein Vorhaben auf.
Ich war sehr angetan von der Freundlichkeit des Mitarbeiters und war sehr überrascht, wie unkompliziert er damit umging und sich offensichtlich darüber freute, dass man Interesse am Bauhaus und an der Geschichte des Hotels hatte. Ich durfte mich frei bewegen im ganzen Haus, mir so viel Zeit lassen die es brauchte, um gute Fotos zu bekommen und er ließ mir sogar ein Zimmer herrichten, denn es war beinahe ausgebucht, damit ich auch das dokumentieren kann, dass man auch in den Zimmern die klassische Moderne von großer Authentizität mit der kantigen Formsprache der Zimmermöbel erleben kann.

Zuerst lief ich ganz hoch in den „Roten Saal“ das war das  Kino, direkt unter dem Dach des Gebäudes und ist der größte Raum. Von Itting mit Kinotechnik und von den Arndts mit sehr eleganten Stahlrohr-Klappstühlen ausgestattet.
Hier konnte ich typische Veränderungen aus der Zeit der DDR erkennen. Leider hat man den ursprünglich offenen Dachstuhl – ein Betonrippen-Tonnengewölbe mit spektakulär großen Oberlichtern im First – mit spießigen Holzpaneelen abgehängt. Dieser Eingriff in die Originalsubstanz ist der massivste in der Geschichte des Hauses, er verändert die Raumwirkung enorm.
Hier wünsche ich mir sehr, um die Raum- und Lichtwirkung des Originalzustandes wiederzuerlangen, dass ein Rückbau erfolgen wird und dass dem jetzigen Eigentümer jede Unterstützung durch Staat und Bund zukommen wird, den wichtigsten Raum des Gebäudes wieder erlebbar zu machen, so wie Alfred Arndt ihn geplant hatte!

Die Zukunft des Hauses war mit dem Ende der DDR lange ungewiss. Sogar ein Abriss wurde diskutiert. Bis ein Medizintechnik-Unternehmer aus Probstzella die leer stehende Ruine 2003 übernahmen. Mit dem Ziel: im Sinne des Vordenkers Itting das Hotel für die Region als Tourismuszentrum und kulturelle Stätte wiederzuerwecken. So began er mit der denkmalgerechten Sanierung und der Wiederherstellung vieler originalgetreuer Details und das Bauhaus-Hotel und Veranstaltungshaus konnte ab 2005 wiedereröffnet werden.

Das Restaurant der sogenannte „Blaue Saal“ , den ich zum Schluss fotografierte, hatte für mich den größten Wiedererkennungswert  mit der bekannten  Formensprache des Bauhaus. Die Stühle und die  bekannten Kugelpendelleuchten sowie die betonenden Farben der Wände und Trägern sind typische Zeugen der Bauhausgeschichte.
Der Blaue Saal und der Café-Pavillon gehen vollständig auf Arndt zurück.
Der Pavillon ist ein zweigeschossiger, auf Stahlbetonskelett über den Hang hinausgeschobener abgestufter Flachbau. Seine Wände sind weitgehend in große Glasflächen aufgelöst. Vom Obergeschoss ist das Flachdach als Terrasse begehbar. Der Pavillon ist heute wieder in seiner Originalfassung erlebbar.

Neben dem Café-Pavillon befindet sich die Sonnenterrasse. Sie bietet ca. 70 Besuchern Platz und Im Blauen Saal wurde ich noch zu Kuchen und Kaffee eingeladen, was ich sehr genossen habe, direkt an der Fensterfront mit einem wunderbaren Blick über das Loquitztal.

Das „Haus des Volkes“ in Probstzella war lange Zeit nicht dem gesamten Volk bekannt. Das größte Bauhaus-Ensemble in Thüringen lag zu DDR-Zeiten im Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze. Das heutige Hotel geriet so für lange Zeit in Vergessenheit. Seit der Restaurierung erwacht es wieder aus dem Dornröschenschlaf. Das Haus des Volkes ist ein Baudenkmal von enormen Dimensionen, dessen originalgetreue Wiederherstellung, Sanierung und Unterhalt große Summen verschlingt. Es ist dem heutigen Eigentümer, dem Unternehmer Dieter Nagel aus Probstzella, hoch anzurechnen, dass er 2003 das marode Gebäude aus einem Konkurs übernommen hat und heute als Hotel mit Restauration weiterführt. Ich wünsche ihm weiterhin viel Glück und Erfolg und vielleicht konnte ich ja auch einen kleinen Teil dazu beitragen, dass viele Touristen und Architekturliebhaber den Weg in  das größte Bauhaus-Ensemble Thüringens finden.

Ich werde definitiv wiederkommen!

Die ganze Lebensgeschichte von Franz Itting stellt Roman Grafe in einem Dokumentarfilm und einem Buch „Mehr Licht – Das Lebenswerk des ‚Roten Itting'“ in seiner sorgfältig recherchierten Biografie einen Menschen vor, wie man sich ihn heute öfter wünscht.

Wie im Falle des Faguswerkes des Carl Benscheidt in Alfeld an der Leine, was ich im Mai 2020 fotografieren konnte, verdanken wir dieses Zeugnis vom Aufbruch in die Moderne einem sozial und fortschrittlich eingestellten Unternehmer.