Die Stadt ist der Star – Kunst an der Baustelle

Vom K-Punkt am Staatstheater bis zum Marktplatz

Unter künstlerischer Leitung des ZKM werden in der Karlsruher Innenstadt anlässlich des Stadtgeburtstages eine Reihe faszinierender Kunstwerke präsentiert: beeindruckende Großskulpturen sowie Performances und Interventionen international bekannter KünstlerInnen. Ziel des Kunstprojekts im öffentlichen Raum ist es, die Ästhetik des Alltags und sogenannter armer Materialien – eine der Innovationen der modernen Kunst – auf die Baustelle auszudehnen und somit ihre Wahrnehmung zu verändern.

Hintergrund

Während des Festivalsommers gleicht die Karlsruher Innenstadt einer monumentalen Großbaustelle. Die eingeladenen KünstlerInnen greifen mit ihren Installationen, Skulpturen und Performances in den dynamischen Prozess der Baumaßnahmen ein. Sie verarbeiten die Baustellen künstlerisch. Die Maschinen und Materialien der Bauarbeiten finden sich in den Kunstwerken teilweise wieder. Daraus entstehen die Fragen: Handelt es sich um eine künstlerische Installation oder eine Baustelle, um eine künstlerische Intervention oder eine bautechnische Maßnahme? Ist das Kunst oder Arbeit? Sind die Menschen, die wir auf der Baustelle sehen, KünstlerInnen oder ArbeiterInnen? Es entsteht ein neues Genre: nicht Kunst am Bau, sondern beim Bauen, Baustellenkunst.

Spektakuläre Großinstallationen

Auf dem Marktplatz, dem Herzstück der ehemaligen Residenzstadt, bringt der argentinische Künstler Leandro Erlich mit einer spektakulären Großinstallation PassantInnen und AnwohnerInnen zum Staunen. »Pulled by the Roots« ist der Titel der Arbeit, die einem Baukran eine ungewöhnlich schwere Last zu tragen gibt: An den Stahlseilen des »Kunstkrans« hängen keine Baumaterialien, Container oder Maschinen – ganz im Gegensatz zu den anderen Kränen in der Stadt. Oberhalb der Baustelle schwebt in luftiger Höhe ein ganzes Haus. Architektonisch einem historischen Bau von Friedrich Weinbrenner nachempfunden, scheint das Gebäude mit seinem Wurzelwerk buchstäblich aus einer der Nachbarstraßen herausgerissen zu sein.
 
Baustellen werden von vielen Einwohnern als Belastung, wenn nicht als Katastrophe empfunden. Der mehrjährige Bauprozess wird auch erschwert durch unvorhersehbare Störungen und Vorfälle. So kommt es immer wieder zu Bildern einer urbanen Situation, bei denen man nicht weiß, ob sie absichtlich oder unabsichtlich entstanden, ob sie das Ergebnis eines Zufalls oder eines Unfalls sind. Der »Truck« von Erwin Wurm, dessen Ladefläche gebogen ist und dessen Hinterräder an der Wand statt auf dem Boden stehen – wurde er durch einen Bagger oder Krahn versehentlich an die Wand gequetscht? Ist er von einem Unwetter an die Wand geschleudert worden? Oder gehört er zu den Autos der Zukunft, die auch die Wand rückwärts hochfahren können?
 
Ähnliche Überlegungen gelten für das »Car Building« von Hans Hollein, das in der Nähe des K-Punkts an der Schnittstelle von öffentlichem und individuellem Verkehr zu finden ist. Diese senkrecht übereinander getürmten VW Käfer – sind sie das Ergebnis der Explosion einer Gasleitung, durch die sie vom Parkplatz in die Luft gejagt wurden, um anschliessend zufällig an dieser Stelle zu landen? Die gestapelten VW Käfer formulieren ein passendes Bild für die Stadt, die für ein verbessertes Verkehrsnetz zeit- und kostenintensive Umbauten in Kauf nimmt.
 
Eine Ablenkung vom Baustellenlärm bietet das »Heaven’s Carousel« von Tim Otto Roth, das in den Abendstunden auf dem Friedrichsplatz zu sehen ist. Wer sich unter den Kran mit den rotierenden Klang- und Lichtkugeln legt, wird eine vom Alltag ferne Seh- und Hörerfahrung machen. Die sphärischen Klänge, die aus dem Kunstwerk dringen, basieren ausschließlich auf Sinus-Tönen und werden durch die Farbe der Kugeln visualisiert.

Performances und Installationen im Dialog mit den BürgerInnen und BesucherInnen

Als eine Art Entschuldigung für die Baustellen, die während des Stadtjubiläums im gesamten Innenstadtbereich das Leben der BewohnerInnen und BesucherInnen etwas beschwerlich machen, scheint die Performance von Michael Elmgreen und Ingar Dragset zu funktionieren. Bei »It’s Never too Late to Say Sorry« geht jeden Tag exakt um 12 Uhr mittags ein Mann auf eine öffentlich aufgestellte Vitrine zu, nimmt das Megafon heraus und ruft den Passanten zu, dass es für eine Entschuldigung niemals zu spät sei.
 
Das Künstlerduo Wermke/Leinkauf nimmt mit seinem mehrteiligen Kunstprojekt »Safe in the City« die Sicherheitsbestimmungen, die mit den Baumaßnahmen verbunden sind, zum Ausgangspunkt für ihre urbanen Interventionen. Gelbe und rote Signalwesten, wie sie von Bauarbeitern sicherheitshalber getragen werden, bieten das Material für ungewöhnliche Aktionen am Hauptbahnhof.
 
Der Performance-Künstler Johan Lorbeer irritiert mit seiner täglich halbstündigen Performance »Tarzan/Standbein« umherirrende Passanten, indem er kerzengerade an einem normalen Baucontainer in der Höhe schwebt. Stadtflaneure haben verinnerlicht, dass Baucontainer und nicht Armeezelte das Stadtbild beherrschen und dass so mancher Passant oder Bauarbeiter bei den Baustellengefechten verloren gehen kann. Lorbeer scheint so ein Schicksal getroffen zu haben. Wurde er vergessen? Wie kommt der da hinauf und weshalb kommt er nicht herunter?
 
So wie die Baustellen mit dem Fortschreiten der Bauarbeiten wandern, so verändern auch einige Kunstwerke ihre Standorte während der Ausstellungszeit. Mit dem »Aposematic Jacket«, einer Jacke, die mit zahlreichen Webcams ausgestattet ist, wandern das koreanische Künstlerduo Shinseungback Kimyonhung in der Stadt umher und halten die Auswirkungen der Baumaßnahmen auf den Alltag fest. Ihre Beobachtungen sind online sichtbar. Dadurch thematisieren sie die Omnipräsenz von Überwachungsmaßnahmen.
 
Chantal Michel und Christian Falsnaes mischen sich mit ihren künstlerischen Arbeiten »Hybride Zonen« und »A good reason is one that looks like one« in die alltäglichen Handlungen im öffentlichen Raum ein und animieren Passanten zu einem Verändern ihres Verhaltens.
 
Durch diese Performances wird das Vokabular der Kunst im öffentlichen Raum erweitert. Public Art bestand hauptsächlich aus Skulpturen, Plastiken, Objekten, die eine Erinnerungsfunktion hatten oder öffentliche Räume ästhetisch akzentuieren sollten. Seit der performativen Wende können wir aber davon ausgehen, dass Public Art auch eine Handlungsform werden kann. Kunst im öffentlichen Raum kann also auch eine Handlung im öffentlichen Raum sein, ein ephemeres Ereignis, eine Demonstration, eine Intervention. Diese Innovation – Performing Public Art – steht im Zentrum des Projektes Die Stadt ist der Star.

Projektpartner

Das Projekt wurde vom Stadtmarketing Karlsruhe GmbH gemeinsam mit der Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft mbH (KASIG) realisiert. Als Partner für das Projekt konnten Unternehmen aus dem Marketingrat der Stadtmarketing Karlsruhe GmbH, die FIDUCIA IT AG, die Sparkasse Karlsruhe Ettlingen, die Volksbank Karlsruhe, die INIT AG, die Ernst Wohlfeil GmbH sowie weitere Unternehmen gewonnen werden. Alle Kunstaktionen sind ein Geschenk an die Stadt, die in Baustellen-Zeiten im Mittelpunkt steht: Die Stadt ist der Star – mit ihren BürgerInnen und BesucherInnen!

 
Impressum
Organisation / Institution
ZKM | Karlsruhe, Stadtmarketing Karlsruhe und Karlsruher Schieneninfrasturktur-Gesellschaft